Gleich zwei Veranstaltungen unserer Reihe „ZEIT STIFTUNG BUCERIUS aktuell“ hatten ein großes Thema: die Präsident:innenschaftswahlen in den USA am 5. November. Die anregenden Diskussionsrunden, veranstaltet vom Förderbereich Politik & Gesellschaft, thematisierten die tiefgreifende Polarisierung im Land sowie die potenziellen Auswirkungen eines erneuten Wahlsiegs von Donald Trump bzw. einer Präsidentinnenschaft von Kamala Harris. Auch ging es um Auswirkungen auf außenpolitische Beziehungen und die Wahl überschattende Kriege wie den russischen Angriff auf die Ukraine und den Krieg im Nahen Osten.
Zu der Frage „Demokratische Kontinuität oder Rückkehr von MAGA?“, zu der wir gemeinsam mit der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung eingeladen hatten, diskutierte der ehemalige SPIEGEL-Journalist Georg Mascolo mit Cathryn Clüver Ashbrook, Transatlantik-Expertin der Bertelsmann Stiftung, Rachel Tausendfreund, Senior Research Fellow für transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und Peter Sparding, Center for the Study of the Presidency & Congress.
Eine Wahl, so grundlegend wie lange nicht mehr
„Es geht um den Erhalt der Demokratie oder um einen Systembruch“, fasste Cathryn Clüver Ashbrook das Gespräch zusammen. Insbesondere das sogenannte „Project 2025“ der Heritage Foundation, welche der republikanischen Partei nahesteht, ziele darauf ab, die Macht des Präsident:innenamtes auszuweiten. Dazu gehöre sowohl die Schwächung des US-Kongresses als auch die Aushöhlung der Unabhängigkeit des Justizministeriums. Trump sei zudem deutlich besser auf eine mögliche zweite Amtszeit vorbereitet. Es sei zudem anzunehmen, dass in seinem Umfeld nur noch treue Anhänger:innen verbleiben werden. Im Aufschwung der Berichterstattung und Zustimmungs-Ergebnisse zu der demokratischen Kandidatin Kamala Harris herrschten noch viele Unsicherheiten, so das Panel. „In Wahrheit wissen wir nicht viel über [Harris]“, so Georg Mascolo, „als Kandidatin überrascht sie nun aber.“ „Als [Kamala Harris] 2020 Kandidatin werden wollte, war sie programmatisch sehr links und öffentlich keine gute Kandidatin, die unauthentisch wirkte“, ordnete Rachel Tausendfreund ein. „Jetzt ist sie deutlich lockerer und wir erfahren auch mehr von ihren Positionen.“ 80 Prozent von Harris Wahlprogramm würden sich mit der Politik von Präsident Joe Biden überschneiden, so Tausendfreund.
Wirtschafts- und Sicherheitssorgen prägen den Wahlkampf
Unter einer neuen Präsidentschaft von Donald Trump hingegen würden die Vereinigten Staaten auf eine Situation zu steuern, in der sich die Republikaner:innen dagegen stemmen, überhaupt noch Wahlen verlieren zu können und den Staat nach ihren Vorstellungen umzubauen, hieß es weiter. Trump habe es geschafft, Menschen an die Wahlurne zu bringen, die vorher nicht gewählt haben, und vereine Protestwähler:innen mit Nichtwähler:innen und Konservativen. Außenpolitisch stünden weiterhin die Beziehungen zu China im Mittelpunkt. Die Referent:innen des Talks waren sich einig, dass die USA unter Trump Europa stark unter Druck setzen würden, den Handel mit Hochtechnologie nach China zu beenden. Insbesondere Deutschland dürfe sich nicht in ähnliche wirtschaftliche Abhängigkeiten begeben, wie dies bei der Abhängigkeit von Russland der Fall gewesen sei. Neben wirtschaftlichen Beziehungen sind wie vielerorts auch in den USA Sicherheitssorgen eine Priorität für Wähler:innen. Zu Donald Trumps Aussagen, er könne den Angriffskrieg gegen die Ukraine innerhalb von 24 Stunden beenden, sagte Peter Sparding: „Dafür gibt es nur eine Möglichkeit: Die Ukraine müsste kapitulieren. Diese Aussagen von Trump passen zu einem Zeitgeist in den USA, der von den Parteien unabhängig gesehen werden muss: ,Nation building at home‘. Häufig vertreten Wähler:innen die Position, dass die USA zu viel für andere Länder tun und zu wenig für die eigene Bevölkerung. Darin liegt begründet, dass sich die USA aus internationalen Krisen zurückziehen sollten.“
Für Kamala Harris würde der Krieg im Nahen Osten zunehmend zum Problem, so das Panel, da bislang kein Waffenstillstand erreicht werden konnte und auch der Austausch von den Geiseln nicht gelingt. Sollte es zu einem größeren Krieg in den kommenden Wochen vor der Wahl kommen, könne man die Folgen für die US-Wahl nicht einschätzen.
USA in Hamburg: Republikaner und Demokratin sprechen in der Bucerius Law School
Die zweite Veranstaltung am 2. Oktober fand unter dem Titel „Die U.S.-Wahlen: Amerika zwischen Polarisierung und Populismus“ in Zusammenarbeit mit dem Studium Generale der Bucerius Law School statt. Die Journalistin Katja Gloger diskutierte mit Stephanie Murphy, ehemalige Abgeordnete von Florida im US-Repräsentantenhaus und Mitglied der Demokratischen Partei, und Asa Hutchinson, ehemaliger Gouverneur von Arkansas und Mitglied der Republikanischen Partei.
Stephanie Murphy betonte, dass der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 dem Land gezeigt habe, wie verletzlich die US-amerikanische Demokratie von innen sei: „Es wird darauf ankommen, wer zukünftig im Senat regieren wird. Sollten die Demokraten den Senat behalten, wird auch ein republikanischer Präsident Kompromisse machen müssen.“ Der Republikaner Asa Hutchinson verwies darauf, dass diese Wahl die am wenigsten vorhersehbare in der Geschichte des Landes sei. Gleichzeitig sei die Wahl auch für die Republikanische Partei entscheidend: Sollte Trump wiedergewählt werden, dann werde es eine lange Phase der „Make America Great Again“-Bewegung (MAGA) geben. Hutchinson selbst bezeichnet sich als „Reagan Republican“ und zählt nicht zu den Unterstützer:innen Trumps in der eigenen Partei. Hutchinson zufolge sei Populismus schon immer ein Teil der US-amerikanischen Geschichte gewesen; Trump sei es jedoch gelungen, einen hemmungslosen Populismus („unrestrained populism“) zu entwickeln, der verschiedene Konzepte von vermeintlichen Wahrheiten hat entstehen lassen.
Alternative Wahrheiten und Dikator:innen
Mit Bezug auf jene „alternative Wahrheiten“ hob die Demokratin Murphy die Bedeutung von Social Media als Verstärker der Polarisierung und der Verbreitung sogenannter „alternativer Wahrheiten“ hervor. Diese Plattformen hätten vor allem bei jüngeren US-Amerikaner:innen Wirkung, die sich in Murphys Wahrnehmung immer weiter von älteren Generationen entfernen, und zu einer Verfestigung der gesellschaftlichen Spannung beigetragen. Hutchinson zeigte sich jedoch auch überzeugt, dass junge Menschen an der Zukunft des Landes interessiert seien und das System der „Checks and Balances“ auch weiterhin gut funktionieren könne.
Außenpolitisch bewerteten beide Politiker:innen Trumps Nähe zu Diktatoren als sehr kritisch. Es stehe zu befürchten, dass die USA für ihre internationalen Partner:innen, einschließlich Europa, zu einem unberechenbaren Akteur werden könnten. Kamala Harris habe sich in den für die Wahl entscheidenden Fragen zu Sicherheit und Wirtschaft weiterentwickelt, so Hutchinson. „Es kommt nun darauf an, wie sich die Situation im Nahen Osten in den nächsten 30 Tagen bis zur Wahl entwickeln wird“.
Neben den inhaltlichen Fragen des Wahlkampfes diskutierten die Gesprächspartner:innen auch über eine mögliche Reform des US-Wahlrechts und um Systeme des „Gerrymandering“ (Manipulation der Wahlkreisgrenzen zum eigenen Vorteil) sowie bürokratische Hürden für bestimmte Wähler:innengruppen. Beide Ex-Abgeordnete sprachen sich für die Beibehaltung des häufiger auch als „undemokratisch“ und „unfair“ kritisierten U.S.-Wahlrechts aus. Die Begründung: Das System habe dem Land über 200 Jahre „gut gedient“. Ganz nach dem Motto: „The winner takes it all“.